Freitag, 17. Februar 2012

Mexico D.F.

english version below
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Seit fast einer Woche sind wir in Mexico D.F., das Klima bekommt mir gar nicht und neben den schon bekannten Beschwerden der Höhe habe ich mir eine Monstergrippe zugezogen. Das Bett verlasse ich in diesen Tagen kaum und so bleibt viel Zeit zum Nachdenken und Lesen. Bevor die Grippe mich dahinrafft, schaffen wir es noch ins spektakuläre Museo Nacional de Antropologia. Auf einem riesigen Gelände und in einem imposanten architektonischen Gehäuse findet man eine, allen Wissensdurst befriedigende Ausstellung über die Völker dieses Landes, von denen die Mayas und Azteken nur die Bekanntesten sind. Schon in Vorbereitung auf diese Reise habe ich viel über die Geschichte Mexikos gelesen, nun begegnen mir einige Dinge im Museum wieder. Die Stadt Tenochtitlan sehen wir im Model, auf deren Ruinen die mexikanische Hauptstadt errichtet ist und deren verschwenderische Schöhnheit heute nicht mal mehr ansatzweise erahnbar ist. Die berühmte Sonnenscheibe der Mayas, der bekannteste de Maya-Kalender findet sich ebenfalls hier, und bekommt besonders in diesem Jahr viel Aufmerksamkeit.

Ich habe ja das grosse Glück, nicht nur als Tourist in diesem Land zu sein, sondern es auch durch die Augen des Künstlers, den ich begleitet, entdecken zu können. Es gibt zahlreiche Zeugnisse der grossartigen und hochentwickelten Kulturen der Tolteken, Zapoteken, Azteken und Mayas zu erforschen. Hier in D.F. ist Aztekenland, ab kommende Woche werden wir für eine Weile in Quintana Roo und Yucatan sein, dort gibt es neben zahlreichen historischen Ruinen auch heute noch Maya-Gemeinschaften. Die Azteken waren selbst Eroberer, die ca. 300 Jahre vor der spanischen Konquista aus dem fernen (und sagenumwobenen) Azlan kamen, um sich im See von Tenochtitlan niederzulassen. Der berühmte Adler mit der Schlange im Schnabel erschien den Azteken auf einem Kaktus sitzend und das war für das Volk das Zeichen, die Reise zu beenden und hier eine Stadt zu gründen. Die Erscheinung ist heute noch in der mexikanischen Flagge zu sehen.

Die Azteken waren ein hochentwickeltes Volk, in vielerlei Hinsicht weiter (Philosophie, Wissenschaften, Kunst, Gesellschaftsbildung) als die europäischen Eroberer, die den Anahuakas ihre von der katholischen Kirche beherrschten mittelalterlichen Werte aufzuzwingen versuchten. Man möchte verwundert sein über die Leichtigkeit, mit der ein paar tausend barbarische Ritter einige Millionen dieses intelligenten und wehrhaften Volkes erobern konnten, aber es würde ein bisschen zu weit gehen, die Gründe, die dazu führten, hier zu vertiefen. Ein Buch zum Thema kann ich sehr empfehlen: Tzetvan Todorovs "Die Eroberung Amerikas - Das Problem des Anderen" (Suhrkamp 1985 - danke Lilli für den Tip), es hat mir viel gebracht und mir als Inspiration und Quelle gedient.

Viel Zeit verleitet zum Nachdenken und ich hatte diese Woche viel Zeit. Als Europäerin zu Besuch in diesem Land und mit Blick auf die historischen Ereignisse setze ich mich fast zwangsläufig mit der Bedeutung der Geschichte und der daraus resultierenden Entwicklung des Landes auseinander. Jeden Tag gibt es etwas Neues zu entdecken, etwas Anderes, etwas Fremdes. Gleichzeitig gibt es keinen besseren Ort als die Fremde, um sich mit den eigenen Wurzeln zu beschäftigen. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich Europa von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet werden kann. Als ich in Australien war, sprach man vom "Fortress Europe", der sicheren Festung, in der Umweltschutz gross geschrieben wird und in dem es sich sicher und bequem leben lässt. In den USA wiederum ist das alte Europa Synonym für Ursprung, für Geschichte und Kultur. Hier in Mexiko steht Spanien (stellvertretend für Westeuropa) für Eroberung, gewaltsame Unterwerfung, unsägliche Grausamkeiten und Massenmord.

Noch heute sind die Mexikaner auf der Suche nach einer eigenen Identität und 500 Jahre nach der Eroberung ist die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse und deren Folgen frisch, das Verhältnis der Mexikaner zu den Europäern und Amerikanern gespalten. Ein wirklich unabhängiges Land gibt es bis jetzt nicht, zahlreiche Beispiele dafür finden sich in allen Lebenslagen. Die Verfassung ist für mich ein erstaunliches Beispiel: Die heute gültige Version stammt aus dem Jahr 1917 (!) und basiert auf drei verschiedenen Verfassungen, der Amerikanischen von 1787, der französischen von 1795 und der spanischen von 1912... Nicht nur die Tatsache, dass diese Verfassungen an sich schon historisch sind verwundert, sondern auch, dass die Mexikanische Verfassung sich an den Nationen orientiert, die dem Land den grössten Schaden zugefügt haben...

Wir Europäer haben in den letzten Jahrhunderten  viel Schaden in der Welt angerichtet. Heute ist natürlich alles anders als damals zur Zeit der Konquista und unsere Generation ist auch nicht verantwortlich, aber ein bisschen fühlt man sich doch betroffen. Zumindest möchte ich mich selbst ( und Euch Leser natürlich) für das Thema sensibilisieren, denn Offensein für andere Kulturen bedeutet auch, sich mit der eigenen Kultur auseinanderzusetzen.

Im nächsten Blog geht es sonniger weiter, wir sehen uns in der Karibik!
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For almost a week we are in Mexico D.F. now, I am staying in bed due to the already known problems of height and an additional heavy flu. There is much time to think and read. Before flu is overwhelming me, we make it to the spectacular Museo Nacional de Antropologia. On a vast area and within an impressive architecture an exposition about all the different people of this land (Mayas and Aztecs are only the most famous) can be found. Since preparing this journey I read a lot about mexican history, now I find many of these things in the museum. The city of Tenochtitlan is shown as a model, now Mexico D.F. is built on its ruins and nothing is left of its former beauty. Another artefact is the piedra del sol - the sun stone of the Mayas, one of the world famous Maya calenders which especially this year is in the centre of attention for many visitors.

I am lucky not only to be in this country as a tourist, but to be able to see everything also through the artists eyes, I am accompanying. There is so much to learn about the stunning and highly developed cultures of the Toltecs, Zapotecs, Azecs and Maya. Here in D.F. the Aztecs where ruling, the coming weeks we will spend in Quintana Roo and Yucatan, which is Maya zone. Aztecs where conquerer themself who aprox. 300 years before the spanish conquista came to this land from the far away and legendary Azlan. After they spotted an eagle sitting on a cactus with a snake in his beak, they decided to build their capital in the lake of Technochtitlan. The trio of eagle, snake and cactus remains as a symbol at the Mexican flag.

Aztecs where a highly developed nation, higher developed in many aspects (like science, philosophy, art and society) than the european conquerer who tried to impose their catholic reined medieval values to the natives. It seems strange, how some babaric knights could overcome so many of these intelligent and well-fortified people. There is a book, I highly recommend for reading more about the topic: Tzetvan Todorovs "Die Eroberung Amerikas - Das Problem des Anderen" (Suhrkamp 1985, thanks Lilli for the hint). It was inspiration and source for my writing.
A lot of spare time let my brain work and there was a lot to think about in this physically lazy week. As an European visiting this country and studying the history I grapple with the meaning and developement of historic events. Every day there are new things to discover, other things, strange things. There is no better place to deal with my own roots and culture than the far away outland. It is fascinating, how different the worlds view on Europe is. Australiens talk about "fortress Europe", where sustainable lifestyle is normal and living is comfortable and safe. In the United States the old Europe stands for roots, history and culture. Here in Mexico the perception is the total opposite, Spain (as representative for western Europe) stands for conquering, repression, unbelievable cruelty and mass murder.
Still today, 500 years after the conquista, the memories of that horrible times are fresh and the mexican people search for an own identity struggling still with Europeans and Americans. Their is no independent Mexico and many examples can be found for this. Particularly one surprised me personally: the mexican costitution is from 1917 (!) and is based on three different constitutions, the American one from the year 1787, the french one from 1795 and the spanish one from 1912... Not only the fact, that these constitutions are more than historic makes me wonder, but even the matter that Mexico is based on constitutions of its biggest former enemies...

There has been much damage by the Europeans in the last centuries. Of course nobody living today can be blamed, but it is good to be conscious. I would like to increase my (and yours) awareness for that topic, because being open to new cultures means also being open to my own.

Next blog will be much sunnier, as we will be at the Carribean!

Freitag, 3. Februar 2012

San Agustinillo

please see english version below
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Die Arbeiten in Oaxaca an den verschiedenen Murales sind beendet (siehe Fotos) und ein bisschen Klimawechsel kann nicht schaden. Wir beschliessen mit einem befreundeten Paar fuer ein paar Tage an den Strand zu fahren. San Agustinillo ist ein kleiner Ort an der Pazifikkueste des Staates Oaxaca, circa 200km von der Hauptstadt entfernt. Auf der Hinfahrt sind die Gebirgszuege der Sierra Madre del Sur zu ueberwinden, was uns trotz der recht geringen Entfernung 7 Stunden Fahrt kostet. Nachdem die unendlich erscheinenden Haarnadelkurven geschafft sind und sich die Maegen wieder halbwegs beruhigt haben, am Wegesrand gekuehlte Kokosnuesse angeboten werden und die Wege von Sandwehen bedeckt sind, kann das Meer nicht mehr weit sein. Wir kommen in der familiaer und oekologisch gefuehrten Pension "el recinto del viento" in San Agustinillo unter, eine Empfehlung von Freunden. Das Haus ist wunderschoen und luftig am Hang gelegen und der Blick aufs Meer ist spektakulaer! Der Hausherr ist ebenso wie Benuz an der alten Kultur der mexikanischen Ureinwohner und an Kunst interessiert und deshalb bekommen wir ein Zimmer zum Preis eines Wandgemaeldes. Der Besitzer des Gemischtwarenladens unten an der Strasse hat eine weitere weisse Wand zu bieten und so wird der faule Strandurlaub zum Open-Air-Atelier mit Suedsee-Flair.


Es ist an der Zeit, das Verhaeltnis der Mexikaner zu bemalten Waenden zu erklaeren: Die grossen mexikanischen Muralistas  wie Diego Riviera oder David Alfaro Siqueiros kennt jeder halbwegs gebildete Mensch. Kaum jemand weiss allerdings, dass bereits die ersten Azteken, denen die spanischen Moenche kurz nach der Eroberung lesen und schreiben beibrachten, die Schiffe und das herrschaftliche Haus des Hernan Cortes mit Protest-Graffitis verzierten. Auch heute spielt die Wandmalerei als Zeichen des Protest gegen die Machenschaften der Regierung noch eine wichtige Rolle. Dazu kommt die ganz profane Werbung. Hier gibt es kaum Werbeschilder aus Metall oder Plastik, alle Informationen - von Geschaeftsbeschriftungen ueber Menuekarten von Restaurants bis hin zu den Logos von Getraenkemarken oder Reifen - alles wird von Hand auf die Waende gemalt. Die meisten Muralistas hier sind also nicht nur Kuenstler, sondern auch Handwerker. Entsprechend wird auch Benuz mit der Aufgabe betraut, nicht nur die weisse Wand mit seiner Kunst zu verschoenern, sondern auch auf die Zimmer des angrenzenden Hostals hinzuweisen.

San Agustinillo war wie die Nachbardoerfer Mazunte und Zipolite bis 1990 ein Fischerdorf mit florierender Schildkroetenindustrie. Als die Jagd auf und Verwertung von Schildkroetenfleisch und -eiern verboten wurde stellten sich die Bewohner der "oaxaceñischen Riviera" auf Tourismus um. Langsam wird aus den verschlafenen Ortschaften, die bisher eher Geheimtip fuer Hippies und Low Budget Reisende waren, aufstrebende Tourismusdestinationen. Ueberall wird gebaut und die Restaurants direkt am Strand bieten italienische Kueche zu deftigen Preisen an. Dennoch ist der traege Charme der sonnenverwoehnten Kuestendoerfer noch lebendig und man wuerde sich ein bisschen wie im Paradies fuehlen, waehren da nicht die Sandfloehe und Muecken, die vor allem in der Daemmerung zu ihren blutigen Raubzuegen ausschwaermen.

Doch nicht nur Muecken sind hier reichlich vorhanden, im Gegensatz zur mexikanischen Grossstadt laesst sich hier vortrefflich und in Ruhe die heimische Flora und Fauna beobachten. Ein Pflichtbesuch fuer die Autorin fuehrt ins Centro mexicano de la Tortuga in Mazunte, wo man einige Arten der einheimischen Meeres- und Landschildkroeten beobachten lassen. Durch die Zimmer unserer Pension huscht so manches Getier, die kleinen Eidechsen zum Beispiel sind unscheinbar, machen aber ziemlich viel Krach. Die Skorpione dagegen sind recht still, verursachen aber regelmaessig Warnrufe der Mitbewohner, woraufhin sich die wagemutigen Maenner mit leeren Joghurtbechern bewaffnen und die zierlichen, doch ziemlich wehrhaften Tierchen sanft einfangen und in einiger Entfernung zum Haus wieder frei lassen. Fische, Austern und Krabben werden eher kulinarisch wertgeschaetzt und abends beobachtet uns eine traege Kroete von  der Groesse eines Kindskopfes beim Malen.

Nach fuenf Tagen sind die Waende fertig und die Zeit im Paradies geht zu Ende. Wir besteigen einen Kleinbus zurueck nach Oaxaca, von wo aus wir noch am selben Tag nach Mexico-Stadt weiterreisen werden. Neben uns sitzt ein junger Mann, der die Kurven nicht vertraegt. Seine Mutter ist gut ausgeruestet und reicht ihm abwechselnd Plastiktueten, hochprozentigem Alkohol und Papierservietten. Trotzdem ist die Fahrt fuer die gesamte Besatzung eine Qual und wir sind froh, als wir in Oaxaca ankommen.

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All the projects in Oaxaca are done more or less (see photos) and we need a change of climate. Together with some friends we want to go to the beach for some days. San Agustinillo is a little spot at the pacific coast of Oaxaca state, around 200 km south of the capital. We need seven hours to cross the mountains of Sierra Madre del Sur. After surmounting infinite amounts of hairpin turns and after our stomaches calmed down again, people offer fresh coconuts beside the street and the oceans seems to be close. We will stay in the little family run hostel "el recinto del viento" recommended by friends. The house is beautiful and ecofriendly built high above the beach and with a spectacular view. The owners are very relaxed and friendly and interested in the old cultures as well as in art and that is why we get a room in change for a mural. The owner of the corner shop downstairs has another wall to paint and so this lazy beach days are converted in an all-day open air atelier.

It is time to explain the Mexicans relation to painted walls: everyone knows the great muralistas mexicanos like Diego Riviera or David Alfaro Siqueiros. But hardly anyone knows that already the Aztecs - after the spanish monks showed them how to write - painted the conquerers ships and the walls of Hernan Cortes' house with protest graffitis. Still today murals play an important role in street appearence in Mexico as protest against the government. But wall painting is much more then protest, it is also advertisement in all its possibilities. All announcement is written directly on the wall, be it the simple name of a shop, menus of restaurants or even the logos of lemonades or tires. Muralistas are artists as well as craftsmen. So Benuz shall not only embellish the corner shop owners wall with his art, but also indicate some rooms to rent which the Don offers additionally.
Like its neighbour villages Mazunte and Zipolite, San Agustinillo was centre of the turtle industry (meat, shells and eggs) until 1990. When turtle hunting was forbidden, the inhabitants of the "Oaxacan riviera" changed into tourism. With the passing years the former secret fisher villages mainly occupied by hippies and low budget travellers change into growing holiday destinations with expensive italian cuisine. Still living its sleepy charme, San Agustinillo would be kind of a paradise if there wasn't so much mosqitos and jigger fleas, which especially after sunset go out for their bloody raids.

But not only mosquitos are quite active outside, other flora and fauna can be observed as well. Obligatory for the author is a visit at the Centro mexicano de la Tortuga, the mexican turtle centre, in Mazunte. Here some different sea and land tutles can be observed. As the hostel has not much walls, a lot of small animals can be seen there like little lizards who are nearly invisible, but very loud. Skorpions can be seen as well which caused tension between the inhabitants, while one brave man goes hunting with an empty joghurt can to later relieve the animal far from the house. Other animals like fish, oysters or prawns are highly valued when freshly grilled. At night a fat paddock from the size of a childs head is watching us painting the wall.
Five days later the art works are done and our time at paradise is to come to an end. We enter a camioneta - a little bus - back to Oaxaca city, where we will go on to Mexico city the same day. Next to us a young man battles hard with the curves. His mother is well prepared with sick bags and desinfection alcohol. Nevertheless it is a six hour torture for all passengers and we are happy to enter Oaxaca.